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Orte schaffen, Freiräume erhalten

 

Kommunale Kunst- und Kulturarbeit in Friedrichshain-Kreuzberg

Friedrichshain-Kreuzberg ist zusammen mit den angrenzenden Stadträumen der Berliner Innenstadt ein Kulturraum, wie es nicht viele gibt. Neben den wichtigen Kulturinstitutionen mit überregionaler, zum Teil weltweiter Ausstrahlungskraft finden Künstler und Kreative hier Orte, an denen die feinkörnigen, sensiblen und vernetzten Bedingungen zusammenkommen, die wirksame künstlerische Schaffensprozesse ins Werk setzen.

Welche Musik wir hören, welche Mode wir tragen, in welcher Architektur wir leben und welchen Blick wir auf die Welt haben - vieles davon wird in den Ateliers, Studios, in Galerien und Werkstätten der Berliner Innenstadtkieze erdacht und entwickelt. Diese besondere stadträumliche Mischung zu erhalten und Räume für die Kultur zu sichern – dies erfordert heute zuerst eine gewisse Zurückhaltung der Politik, Kunst und Künstler nicht als bloße Aufwertungsstrategie öffentlicher Quartiere aufzufassen und die Kunst zum Verdrängungsmittel ihrer selbst werden zu lassen.

Neben einer ungebremsten Mietenentwicklung sind überdimensionierte Stadtentwicklungs- und Infrastrukturprojekte die gefährlichste Bedrohung für kreative Freiräume und für Orte für die Kunst. Insofern ist für die Bedingungen künstlerischer und kultureller Arbeit oft wichtiger, was Bau- und Verkehrspolitiker nicht tun, als das, was – erst recht kommunale –Kulturpolitiker leisten können. Gleichwohl kann gerade auch in Zeiten eines rasanten stadträumlichen Wandels die kommunale Kunst- und Kulturarbeit einen wichtigen Beitrag nicht nur zur Entwicklung der städtischen Kultur, sondern auch zur Stabilisierung der Kieze leisten, wie er so nicht von den zentralen oder überregionalen Kulturinstitutionen erbracht werden könnte: Die kommunale Kulturarbeit schafft Orte der Kontinuität und der Stabilisierung im Stadtteil. Mit den öffentlichen kommunalen Angeboten grenzt sie sich hierbei ab zu den privaten, freien und kommerziellen Angeboten einerseits und den „Leuchttürmen“ anderseits.

Sie ermöglicht die aktive Vernetzung unterschiedlicher Szenen und Akteure, insbesondere mit der freien Szene und der Kulturwirtschaft. Sie schafft Orte der Professionalisierung von freien Künstlerinnen und Künstlern ebenso wie von Kunstvermittlern, Orte der kulturellen Bildung, der kontextualisierten Auseinandersetzung mit thematischen, kulturellen, historischen und lokalen Fragestellungen, Orte der Durchlässigkeit und der Experimente.

Diese Orte und mit ihnen die Grundstruktur städtischer und dezentraler Kultur zu erhalten, ist das kulturpolitische Gebot der Stunde. Hierbei steht die bezirkliche Kulturpolitik vor großen Herausforderungen. Der fortgesetzte Zwang zur Haushaltskonsolidierung im allgemeinen und die Anwendung der Kosten- und Leistungsrechnung in ihrer Berliner Ausprägung im besonderen haben im Kulturbereich zu einer Abwärtsspirale geführt.

Jeder Bezirk muss kontinuierlich darauf achten, zum einen Kosten zu reduzieren, zum anderen Angebotsstunden zu erhöhen. Qualitative Faktoren werden bei der Budgetzuweisung nicht beachtet. Dies gibt dringenden Anlass zu einer Überprüfung der Budgetzuweisungspraxis, die ausschließlich über die Mengen gesteuert wird. Die Diskussion über die Einführung von Qualitätsindikatoren, wie sie etwa für die Musikschulen vorgesehen sind, weist in die richtige Richtung. Sie kann ergänzt werden durch die Definition einheitlicher qualitativer und quantitativer Mindeststandards für die Aufrechterhaltung einer kommunalen Kulturarbeit in der Breite Berlins.

Ein weiteres und immer drängender werdendes Problem stellt die Vorgabe dar, Personal für frei werdende Stellen regelmäßig aus den Zentralen Personalüberhang (Stellenpool) des Landes Berlin zu besetzen. Dies führt dazu, dass oftmals kein qualifiziertes Personal mehr für die bezirkliche Kulturarbeit gewonnen werden kann, weil dies im Stellenpool für die Kunst- und Kulturämter mit ihren spezifischen Anforderungsprofilen kaum vorhanden ist. Es wäre nicht nur wünschenswert, sondern ist im Interesse der Einrichtungen aus meiner Sicht geboten, jungen und qualifizierten Museologen, Kulturarbeitern, Kunst- und Kulturwissenschaftlern, die in großer Zahl an den Berliner Universitäten hervorragend ausgebildet werden, eine Beschäftigung in den bezirklichen Kulturinstitutionen zu ermöglichen.

Ein drittes Problemfeld stellt dar, dass die Anzahl der Anträge auf Projektförderung für Künstler und freie Gruppen, die überaus begründet sind und dringend förderungswürdig, in unserem Bezirk bei weitem das zur Verfügung stehende Fördervolumen übersteigt. Eine weitere Absenkung der Fördermöglichkeiten muss deshalb unbedingt vermieden werden, vielmehr müssen Land und Bezirke gemeinsam überlegen, wie die dringend benötigte kommunale, kleinteilige Projektförderung gesichert werden und stärker am Förderbedarf ausgerichtet werden kann.

Bei all diesen Schwierigkeiten hat es der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg geschafft, auch bei immer knapper werdenden Ressourcen ein eigenständiges kulturpolitisches Profil zu entwickeln, ein qualitativ hohes Niveau zu halten und keine Kultureinrichtungen zu schließen. Ein klares Markenzeichen des Bezirks ist dabei die interkulturelle Ausrichtung der Kulturangebote. Ein Leuchtturm innerhalb unser bezirklichen – also eigentlich leuchtturmfernen – Kulturlandschaft ist das Ballhaus Naunynstraße; eine von zwei bezirklichen Spielstätten neben der soziokulturell ausgerichteten Studiobühne in der Alten Feuerwache Friedrichshain.

Unser Bezirk kann stolz darauf sein, nach wie vor zwei Bühnen zu unterhalten, während andere Bezirke keine kommunalen Spielstätten mehr vorzuweisen haben. Wir wollen an dieser Angebotsvielfalt festhalten. Die Inszenierungen am Ballhaus Naunynstraße sind Diskursbeiträge zur Situation unserer Stadt und unserer Gesellschaft, die bundesweit Beachtung finden und weltweit eingeladen werden. Die Verwirklichung des Konzepts des postmigrantischen Theaters, wie es am Ballhaus Naunynstraße gelungen ist – gerade auch mit der Schwerpunktsetzung auf die kulturelle Bildungsarbeit wie mit der „Akademie der Autodidakten“, die in die Nachbarschaft hinein wirkt – stellt sicher einen der größten Erfolge bezirklicher Kulturpolitik in Berlin überhaupt dar.

Der interkulturellen Ausrichtung verpflichtet sind auch die Musikschule und die Stadtbibliothek Friedrichshain-Kreuzberg. Im Jahr 2010 wurde unsere Stadtbibliothek als best practice – Beispiel des Beauftragten des Senats für Migration und Integration benannt. Hier macht sich bezahlt, dass die Bibliothek mit allen Grundschulen und Kitas im Bezirk kooperiert und hier zum Teil auch Kooperationsverträge abgeschlossen hat. Maßstabsetzend ist die preisgekrönte Sprach- und Leseförderung „Kinder werden WortStark“, die nicht nur in Berlin und Deutschland übernommen wurde, sondern von Goethe-Institut mittlerweile auch in andere Länder Europas, Asiens und Afrikas exportiert wurde.

Durch den intelligenten Einsatz von Fördermitteln ist es gelungen, zwei wesentliche Bauvorhaben anzustoßen: Zum einen die interkulturelle Familienbibliothek „Wilhelm Liebknecht“ in der Adalbertstraße, zum anderen die neue Bezirkszentralbibliothek in der Frankfurter Allee. Beide werden zu neuen architektonischen Wahrzeichen des Bezirks werden, die neue moderne Stadtbibliothek für Friedrichshain zugleich zu einem neuen Stadtteilzentrum.

Mit der Galerie im Turm, dem Projektraum in der Alten Feuerwache Friedrichshain und dem Kunstraum Kreuzberg im Bethanien unterhält der Bezirk drei kommunale Galerien, die jede für sich eine erhebliche Wirksamkeit in den Bezirk hinein und darüber hinaus entfalten. Der Kunstraum im Bethanien ist eine weithin bekannte Plattform für junge bildende Kunst, von hier werden eine Vielzahl internationaler Kooperationsbeziehungen unterhalten. Zugleich spielt der Kunstraum zusammen mit der Musikschule eine wichtige Rolle bei dem kulturpolitischen Ziel des Bezirks, das Bethanien als Ort der Kunstproduktion zu erhalten und zu einem offenen Kulturzentrum weiterzuentwickeln.

Der Bezirk unterstützt deshalb die Vermietung frei werdender Flächen im Bethanien an Institutionen aus dem Bereich der Darstellenden Kunst und an das Atelierprogramm und die wahrnehmbare Öffnung des Gebäudes durch das neue gastronomische Angebot im Eingangsbereich und auf den Mariannenplatz. Schließlich ist das Kreuzberg-Museum am Kotti – nach dem Zusammenschluss mit dem Heimatmuseum Friedrichshain im Jahr 2004 als Bezirksmuseum – das „Gedächtnis“ des Bezirks und zugleich ein Zentrum der partizipativ ausgerichteten Kulturarbeit. Von hier aus wird die Gedenkstätten- und Geschichtsarbeit koordiniert, die in unseren Bezirk eine große Bedeutung hat.

Die Ausstellungsprojekte im Museum greifen regelmäßig Themen auf, die im Bezirk und im Kiez virulent sind. In der Dauerausstellung werden der städtebauliche Wandel des Bezirks und die sozialen Auseinandersetzungen darum besonders anschaulich deutlich – niemand sollte über die Stadtentwicklung in Berlin diskutieren, ohne diese Ausstellung gesehen zu haben. Friedrichshain-Kreuzberg mit seiner innovativen, experimentellen und multikulturellen Kulturlandschaft ist einer der Gründe, warum Berlin überall nicht nur für die Sehnsucht nach Freiheit und Vergnügen, sondern auch nach Kunst und Kultur steht.

Weil Künstler und Kulturschaffende hier gerne leben und arbeiten, weil es ein starkes bürgerschaftliches Engagement gibt, das die Kulturarbeit in dieser Qualität erst möglich macht. Der Bezirk wird weiter dafür arbeiten, die Strukturen der kommunalen Kulturarbeit auf hohem qualitativen Niveau zu erhalten und die Teilhabe aller Menschen, die in Friedrichshain-Kreuzberg leben, am kulturellen Leben anzuregen und zu fördern.

Dr. Jan Stöß, Kulturstadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg im Juli 2010

 

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