Abenteuer Flusslandschaft

Wie in den Flusstälern im Nordosten von Mecklenburg-Vorpommern
Natur schonender Tourismus organisiert wird


Das Solarboot fährt langsam mit sechs Knoten - etwa 11 km/h - Geschwindigkeit. Nur das Geräusch des Wassers ist zu hören, wenn es beim Fahren vom Boot geteilt wird. Manchmal ist vom Steuerrad ein leichtes Knacken zu vernehmen, wenn Tourberater Frank Götz vom Netzwerk Abenteuer Flusslandschaft das Rad etwas dreht und den Kurs korrigiert. Ein großer Vogel fliegt dicht über das Boot. „Da ist eine Riesenweihe“, erkennt Frank Götz sofort. Die Fahrgäste machen lange Hälse und zücken die Fotoapparate. Aber der Vogel ist schon in der dichten Uferböschung verschwunden.



Die Fahrt führt auf der Peene von Anklam in Richtung Demmin und Kummerower See.
Dem Besucher eröffnet sich eine faszinierende Landschaft. Er bewegt sich in eiszeitlichen Flusstälern auf einem zehntausend Jahre alten Strom. Während die Touristen besonders zur Sommersaison an die Küsten der nahen Insel Usedom strömen, bietet dieses so genannte Küstenvorland einen einmaligen Naturraum, wie er kaum mehr in Mitteleuropa zu finden ist.

„Deshalb sollen diese Naturschätze auch mit sanftem Tourismus erschlossen werden“, so bekräftigt Antje Enke, ebenfalls vom Netzwerk Abenteuer Flusslandschaft. Das Netzwerk, dem etwa 25 kleine und mittlere Touristenbetriebe der Region angehören, setzt auf nachhaltige umweltschonende Fortbewegung, auf Solarboote, Paddelboote, Canadier und e-bikes, also Fahrräder, die mit Unterstützung eines kleinen Elektromotors gefahren werden.


Besuch bei den Seeadlern

Das Solarboot erreicht auf dem Fluss den Wasserwanderrastplatz Menzlin. Alle 18 Kilometer sind solche extra beschilderten Plätze eingerichtet. Hier kann der Tourist sein Zelt aufschlagen und er hat hier Wasch- und Duschgelegenheiten. Bereits alle fünf Kilometer gibt es einen Bootssteg für eine Pause beim Wasserwandern. Bei einem Spaziergang in Menzlin sind Wikingergräber und renaturierte Moorlandschaften zu entdecken. Das Solarboot nimmt wieder sechs Knoten Fahrt auf.

Das nächste Ziel ist das Klosterdorf Stolpe. “Insgesamt haben wir hier in der Flusslandschaft See- und Fischadler und die etwas selteneren Schreiadler sowie flächendeckend Biber und Fischotter“, sagt Bootsführer Frank Götz. Kaum hat er den Satz beendet, taucht ein Seeadlerpärchen auf. Es sitzt hoch auf dem Ast eines Baumes an der Uferböschung und lässt sich durch das leise heran schwimmende Boot nicht stören. Mehr als drei Viertel aller Vogelarten, die in Mecklenburg Vorpommern beheimatet sind, brüten im Peenetal. Eine große Zahl dieser Vögel stehen auf einer roten Liste bedrohter Arten, sind also recht selten in freier Natur zu erleben. Hier im Naturschutzgebiet schon.


Künftig Luxus-Yacht auf der Peene

An der Anlegestelle in Stolpe hat eine 5-Sterne-Solar-Yacht festgemacht, die erstmalig in dieser Saison auf der Peene kreuzt. Der ausschließlich mit Solarzellen betriebene große Katamaran will Trends setzen und hat sich den Namen „UHURU“ gegeben aus der TV-Serie „Raumschiff Enterprise“.

Die Solarpaneele auf dem Dach haben eine Leistung von sechs Kilowatt. Mit Sonnendeck, Salon und Achterdeck hat das Schiff für 20 Personen Platz und gibt sich mit Ledersitzen und hochglänzendem Holzfurnier recht luxuriös. Wenn im nächsten Jahr der Charterbetrieb beginnt, wird die mit Sonnenenergie betankte Yacht dazu beitragen, so Franke Götz, „dass die Peene ein Solarfluss wird.“


Residieren wie Bismark im Gutshaus Stolpe

Die vorpommersche Flusslandschaft hat nicht allein Flora und Fauna zu bieten, sondern auch sehenswerte kleine Städte, Burgen und Schlösser, Kirchen und Kapellen und wie kleine Juwelen in die Landschaft eingebettet, liebevoll restaurierte Gutshäuser. Eines der schönsten ist das Gutshaus Stolpe, zehn Kilometer flussaufwärts von Anklam. Am Ende einer imposanten Lindenallee steht das lang gestreckte Fachwerk-Gutshaus, geschmückt mit Mansardengiebeln.

Nach umfangreicher Renovierung wurde es 1996 als Hotel und Restaurant eröffnet mit
33 Gästezimmern, davon sechs Suiten. Ein Slogan im Haus verspricht, dass hier die Gäste „residieren wie zu Zeiten Bismarks.“ Die größtenteils mit Antiquitäten ausgestatteten Zimmer wollen auch an das 19. Jahrhundert erinnern und dazu einladen, die Zeit mit Ruhe und Muße zu verbringen. Zum Gutshaus gehören ein weitläufiger Park mit altem Baumbestand und einer Klosterruine, ein Gourmet-Restaurant mit einem Michelin Stern genauso wie in den unteren Gewölben standesgemäß ein Weinkeller. Hoteldirektor Alexander Stiller und sein junges Team mit 30 Mitarbeitern präsentieren hier „eine Oase und Idylle am Torfstich“ – die auch ihren Preis hat. Das Arrangement „3 Tage zum Verlieben“ kostet im Doppelzimmer für 2 Personen mit Frühstück und Menüs 542.- Euro.


Baden unter freiem Himmel im Gutshof Liepen

Nur wenige Kilometer entfernt im Peenetal wartet der Gutshof Liepen auf seine Gäste. Hier herrscht eher eine familiäre Atmosphäre mit 21 Betten und einer regional ausgerichteten Küche. Eine Spezialität sind die Freiluft-Badewannen, die im Schlossgarten aufgereiht sind. Sie werden mit Holz beheizt und bis zu vier Badegäste können in den Wannen aus Metall ein Bad nehmen und natürlich in der Wanne ein Bier oder Glas Wein trinken.

Die Wannen kann der Besucher mieten sowohl am Tage und auch abends im Licht vom Lagerfeuer nach anstrengendem Urlaubstag per Kanu, Rad oder zu Fuß. In der Reihe vieler neu ausgebauter Gutshäuser steht auch der historische Landsitz mit Hauspersonal. Im Gutshaus Groß Toitin wird Ungestörtheit und gepflegte Privatheit versprochen mit dem Gefühl, sich um nichts kümmern zu müssen.

Dieses stilvolle „zu Hause“ für Urlauber richtete Frau Juliane Freiherr Marburg vor zwei Jahren ein, in dem sie sehr mühevoll mit Handwerkern der Region diesem Gutshaus samt Kutscherhaus und Garten wieder zu altem Glanz verhalf. Insgesamt fünf Zimmer bietet das Gutshaus, drei Zimmer das Kutscherhaus. Die Preise sind privat verhandelbar, liegen aber, wie zu erfahren, zwischen 150 bis 180 Euro pro Übernachtung.


Gutshaus Wietzow mit Station für e-bike

Ein weiterer Gutshof zum Urlaub machen liegt in traumhafter Lage im Tollensetal. Hier im Gutshaus Wietzow kann der Reisende große Ferienwohnungen beziehen. Außerdem befindet sich hier eine Station für e-bikes. Der Betreiber Jörg Kröger vermietet die Räder, mit denen man clever fahren kann, für 20 Euro pro Tag und nimmt 10 Euro für drei Stunden.

Auch eine Wechselstation für die Akkus der Elektro-Fahrräder gibt es hier. Hier kann auch der Tagesgast sein Auto stehen lassen und auf das Fahrrad umsteigen. Ich probiere ein e-bike aus und stelle fest, dass die zwei Leistungsstufen zur Unterstützung durch den Elektromotor und auch die Gangschaltung mit acht Gängen einfach bedienbar ist. Es fährt sich sehr leicht und nach 15 Minuten Fahrt ist mir nur ein Postauto begegnet. Stille, Vögelzwitschern. Jörg Kröger führt die kleine Radtour zu einer Anhöhe zwischen Bucholz und Büssow. Von hier eröffnet sich ein wunderschöner Blick auf das gesamte Tollensetal und droht zugleich ein Alptraum, der bald Wirklichkeit werden kann.


Schweinische Geschäfte

Jörg Kröger zeigt mit seiner rechten Hand in die ferne Landschaft: “Wenn man auf das nördliche Ufer schaut, sehen wir einige Windkraftanlagen und davor soll in Alt Tellin auf sieben Hektar Europas größte Ferkelzuchtanlage gebaut werden. Das würde bedeuten, dass 10.500 Mutter-Sauen jedes Jahr ungefähr 250.000 Ferkel gebären.“

Jörg Kröger, Mitglied des Unternehmerverbandes am Tollensetal, holt tief Luft: “Diese Viertel Million Ferkel sollen die Anlage mit einem Gewicht von 30 Kilogramm verlassen als so genannte Läufer. In umliegenden Mastanlagen werden sie dann auf 120 Kilogramm Gewicht gemästet. Die Anlagen werden nach dem Prinzip rein – raus betrieben, also auf einen Schlag wird ein Ferkelwurf der Sauen mit 35.000 Tieren ausgeliefert. Später werden dann an einem Tag 15.000 schlachtreife Schweine in überdimensionierte Schlachthöfe geliefert, so genannte Schlachtzentren. Hier werden die Tiere vergast, dabei mitunter anfangs nicht getötet und dann in kochender Brühe die Haut abgezogen…

Das hat alles mit bäuerlicher Tierhaltung nichts mehr zu tun.“ Als vor einigen Jahren der Niederländische Investor Adrian Straathof dieses Projekt in Angriff nahm, formierte sich, wie schon in seiner Heimat, der Widerstand von Bürgerinitiativen, Anwohnern und Teilen der Öffentlichkeit. Dennoch ist im Oktober 2010 der Bau der Schweinezuchtanlage von den Behörden genehmigt worden. Jörg Kröger bleibt dennoch optimistisch, diesen Bau, der nach seiner Meinung auch wirtschaftlich total unvernünftig ist, noch zu stoppen und statt auf Agrarfabriken wieder auf Bauernhöfe zu setzen. Er empfindet es geradezu als kriminell, wenn die Politik des Landes den Umbau der Landwirtschaft zu einer Industrie und damit den Rückgang von Bauernhöfen noch fördert. Regelmäßig trifft sich die Bürgerinitiative zur Montags-Inspektion um 17 Uhr auf dem Baugelände.


Exzellentes Reiseziel in Europa

Es ist in keiner Weise überraschend, dass die Flusstäler Vorpommerns zu den exzellentesten Reisezielen in Europa zählen. Dafür steht der EDEN-Award, der Preis der „European Destination of ExcelleNce“ (EDEN), den die Region im September 2010 in Brüssel entgegennahm. Der Preis honoriert die sanften und umweltverträglichen Kanureisen und Solarbootausflüge im Peenetal und insgesamt den Ausbau der Anbieternetzwerke Abenteuer Flusslandschaft. Übrigens wird künftig mit finnischen und polnischen EDEN-Regionen auf der Website kooperiert. So lange die Flusslandschaft des Peenetals noch nicht vom Massen-Tourismus entdeckt wurde, bleibt sie ein Geheimtipp für Urlaub in Stille und weit gehend unberührter Natur.

www.abenteuer-flusslandschaft.de
www.gutshaus-stolpe.de
www.gutshof-liepen.de
www.gutshaus-grosstoitin.de
www.gutshof-wietzow.de


Text und Fotos: Ronald Keusch, Mai 2011
Foto: "Landschaft der Flusstäler": Stefan Wollert
Foto: "Mit dem Solarboot unterwegs": Felechner


Anmerkung:
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