Stadtteil Plagwitz
Leipzig - einzigartige Industriearchitektur erlebt im Stadtteil Plagwitz neue Blütezeit
Ein totgesagter Stadtteil wird zum Flächendenkmal
Visionen des Industriepioniers Carl Erdmann Heine sind Vorbild
In Leipzigs Westen hat sich mit dem Stadtteil Plagwitz ein ca. 90 Hektar großes Flächendenkmal der Industriearchitektur erhalten, das seinesgleichen sucht. Es war das erste planmäßig entwickelte, großräumige Industriegebiet Deutschlands.
Das deutsche Unternehmertum ist eng mit der Geschichte von Plagwitz verbunden und wurde erheblich vom Gutsbesitzersohn und Rechtsanwalt Dr. Carl Erdmann Heine (1819-1888) geprägt. Durch sein Engagement in den Jahren zwischen 1840 und 1880 wurde Leipzig zum Vorreiter der deutschen Industrialisierung.
Schon früh zeigte sich Heine von der damals noch revolutionären Eisenbahn sowie der wirtschaftlichen Nutzung von Wasserwegen begeistert. So handelt es sich bei dem 1873 eröffneten Bahnhof Plagwitz-Lindenau um den ersten Industriebahnhof Europas. Heines Visionen ermöglichten den Bau eines Kanals, der zur Schaffung einer Schifffahrtsstraße von Leipzig nach Hamburg führen sollte. Ziel war, die in Leipzig produzierten Industriewaren über den Hamburger Hafen weltweit abzusetzen.
Der Visionär erwarb in Plagwitz große Wiesen und Ackerland und nutzte diese für Wohnungsbau und Industrieansiedlung. Er legte das sumpfige Gebiet trocken und regulierte Wasserläufe. Weiterhin engagierte sich Heine stark für die Ansiedlung von Industrieunternehmen und kümmerte sich um deren Anbindung an die Wasserwege bzw. an das Schienennetz.
Die Kombination von Wohnquartieren und Arbeitsstellen war einmalig und verhalf der Industrie - in Verbindung mit den idealen Transportwegen - zum stürmischen Aufbruch. Ab 1920 ließen Rüstungsindustrie, Aktienspekulation, Krieg und wirtschaftlicher Verfall der sozialistischen Planwirtschaft den Industriestandort immer mehr ins Hintertreffen geraten.
Nach der Wende 1989 erfolgte endgültig der Niedergang von Plagwitz, das im Zweiten Weltkrieg nur geringfügig beschädigt wurde. Nachdem fast eineinhalb Jahrhunderte die Schornsteine geraucht hatten, folgte die Deindustrialisierung im Zeitraffer. Die Betriebe wurden liquidiert, die Bevölkerung wanderte ab und es kam zu hohem Leerstand und Abrissen.
Über 90.000 Industriearbeitsplätze gingen in Leipzig verloren, davon ein großer Teil in Plagwitz. Der Stadtteil wurde totgesagt und schien endgültig dem Verfall preisgegeben. Gespenstische Häuser, leere Fabrikgebäude, vom Gras überwucherte Bahngleise und verschmutzte Gewässer prägten dessen Image. Nun waren abermals Visionen gefragt. Eine neue Gründerzeit begann.
Die Baudenkmäler sowie die Gewässer und Gleisbogen, die in ihrer Gesamtheit den einzigartigen Charme von Plagwitz ausmachen, sollten renoviert und rekonstruiert werden. Die Stadt und zahlreiche Investoren starteten ein umfangreiches Aufbauprogramm.
Im Jahr 2000 erhielt Plagwitz als externer Standort der Hannoveraner EXPO unter dem Motto “Plagwitz auf dem Weg ins 21. Jahrhundert – Ein Stadtteil im Wandel” weltweite Aufmerksamkeit und damit einen deutlichen Entwicklungsschub. Glücklicherweise überdauerten die meisten Bauensembles der Gründerzeit und der frühen Moderne die schwierigen Jahre und entfalteten nach ihrer Restaurierung bald den Reiz einer untergegangenen Welt.
Heute kann man ehrfurchtsvoll die prachtvollen Backsteinbauten sowie die beeindruckenden Brücken über den Karl-Heine-Kanal bewundern, die Leipzig zur Hafenstadt machen sollten. In ehemaligen Fabrikhallen sind exklusive Lofts entstanden, in deren Höfen dank Wurzelheizung exotische Palmen gedeihen. Zahlreiche Unternehmen, vor allem aus dem kreativen Bereich, haben sich in den vergangenen Jahren in Plagwitz niedergelassen.
Mit dem “Business Innovation Center (BIC)” entstand 1999 eine erfolgreiche Existenzgründerinitiative. Eine touristische Attraktion ist “Rübesams Da Capo”, das in der restaurierten Fabrikhalle von 1895 – ehemals Landmaschinenfabrik Rudolf Sack - eine der größten Sammlungen amerikanischer Oldtimer in Europa ausstellt und sich mit dem außergewöhnlichen Ambiente der 1.000 qm großen Eventhalle einen Namen gemacht hat. Erholung bietet der Stadtteilpark, eine grüne Insel, die auf der Fläche einer ehemaligen Ladestation geschaffen wurde.
Wer sich für die in rascher Folge entstandenen und bis zur Wende 1989 betriebenen Plagwitzer Industrieanlagen interessiert, findet außergewöhnliche Bauten. Architektonisch bedeutsam sind u.a. die im Jahr 1866 gegründete “Wollgarnfabrik Titel & Krüger” (Nonnenstraße/Elsterstraße), das 1928 nach Entwürfen des Hamburger Architekten Fritz Höger erbaute Verwaltungsgebäude der Leipziger “Konsum-Zentrale” (Industriestraße 85-95) – eine grandiose Symbiose von Backsteinexpressionismus und Neuer Sachlichkeit – die 1880 gegründete “Maschinenbaufabrik Unruh & Liebig” (Naumburger Straße 28) und die zwischen 1879 und 1925 in der Nonnenstraße errichteten “Buntgarnwerke” – eines der größten Gründerzeitdenkmale Deutschlands.
Wer eine Bootstour auf dem Karl-Heine-Kanal macht, dem wird mit Sicherheit ein widerspenstiges Gebilde ins Auge fallen: Das 2003 nach einem Umbau eröffnete “Stelzenhaus” (Weißenfelser Straße) – ein ehemaliges Wellblechwalzwerk der Firma “Grohmann & Frosch” – wurde aufgrund Platzmangels Ende des 19. Jahrhunderts an einer Kanalbiegung errichtet. Getragen wird das streng funktionalistische Gebäude von wuchtigen Betonstützen.
Die Entwicklung Plagwitz von einem Dorf zum Industriestandort lässt sich vier Epochen zuordnen: Die Industrialisierung 1840-1870, Welthandel und Gründerboom von 1870-1918, Weltwirtschaftskrise und Kriegsmaschinerie von 1920-1945, Aufstieg und Fall als Industriestandort nach dem Neubeginn von 1945-1989. Das brache Industrieviertel hat sich inzwischen zu einem modernen, grünen, sozial verträglichen und begehrten Quartier für Wohnen, Arbeit und Freizeit umgewandelt, das in Deutschland seinesgleichen sucht.
Autor: Andreas Schmidt
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