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Schwester meines Herzens

 

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Mmakgabo Mmapula Helen Sebidi

 

Autorin: Heidi Trautmann*

Es war ihr Lachen. Es begann tief innen und wogte in Wellen über ihren ganzen Körper, in ihr Gesicht und ihre Augen. Es übertrug sich auf einen, man konnte nichts dagegen tun. Sie war Teil unserer Familie seit dem ersten Tag, als sie anfing bei uns zu arbeiten, für uns zu sorgen.

Das war 1968. Wenn wir morgens auf dem Weg zur Arbeit das Haus verließen, drehte ich mich gerne noch einmal um und sah sie dort in der Türe stehen in ihrem rosa oder grünen Hauskleid, mit einem unserer Babies im Arm und ich hatte ein gutes und warmes Gefühl.

Wir waren alle jung, hatten unsere schöne Zeiten, unsere Kämpfe, Zukunftspläne und arbeiteten hart. Helen sah mich in diesen Jahren glücklich und sie sah mich verzweifelt und so wuchsen wir zusammen.

 

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Eine kleine Auswahl der Werke der Künstlerin

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Sie hatte eine Familie, für die sie zu sorgen hatte, ihre Großmutter, ihre drei Kinder und eine Schwester, die noch zur Schule ging. Einmal im Monat sandte sie ein großes Paket mit Nahrungsmitteln nachhause. Wie sie das alles schaffte, weiß ich nicht, sie beklagte sich nie, sie tat die Dinge einfach.

Ich habe sie nur einmal weinen sehen, als sie erfuhr, dass das monatliche Paket gestohlen worden war. Wir packten ein neues Paket.

Wenn ich abends alleine war, sagte ich oft zu ihr: „Come over for a ciggy.“ Ich malte und sie sass neben mir und schaute zu. Wir redeten über unsere Familien, Traditionen, über Tatsachen des Lebens; ich hörte sie nie klagen, zumindest damals nicht. Viele Dinge erfuhr ich erst viel später.

Etwas hatten wir gemeinsam, wir waren beide von unseren Großmüttern aufgezogen worden, die uns fast ähnliche Weisheiten des Lebens eingebleut hatten. So lernte ich die Geschichte ihrer Familie, ihres Volkes, hörte von der Tradition, die Häuser zu bemalen, und ich sagte ihr, dass wir in Bayern dasselbe täten: die Lüftlmalerei.
Wir sprachen auch von sozialen Dingen, Naturmedizin, Glaube und Erziehung.

Unser jüngster Sohn wurde in Marapyane, Hammanskraal (Nähe Pretoria) auf einer katholischen Missionsstation getauft, in dem Ort, in dem Helen aufgewachsen war. Dort wohnte auch ihre Großmutter mit ihren Kindern. Ich äußerte den Wunsch, Großmutter kennen lernen zu wollen; erst später gestand sie mir, dass mein Wunsch sie unglücklich machte, da Großmutter’s Haus wohl nicht meinen Vorstellungen entsprechen würde.

Es war ein heisser Tag, die Hitze waberte summend über dem honiggelben Gras und in den Dornenbäumen neben dem Weg zum Haus. Wir kamen an eine Lehmmauer, die über und über in den Farben des Landes und in geometrischen Mustern bemalt war, schützend um ein Rundhaus mit Strohdach. Der Boden des Innenhofes war unglaublich sauber, bei der Herstellung wohl nass gebürstet zu vielen Mustern.

Dann stand ich der Großmutter gegenüber und es war, als wenn ich sie mein ganzes Leben gekannt hätte, und sie kannte mich, und mein Respekt war groß. Sie war sehr alt und sehr dünn und stand tief gebeugt über ihrem Stock. Ihr Händedruck war fest, ihre Hände groß und schön geformt mit langen Fingern. Wir wurden in das Rundhaus geführt durch einen niedrigen Eingang und ich war überrascht, wie kühl es innen war. Es war gut mit ihr zu reden.

Wir sprachen vom Hausbau und den natürlichen Lehren, für Kühle im Haus zu sorgen, und wir sprachen auch über die Unsitte, das Strohdach durch eines aus Zink zu ersetzen. So wie ich heute meine Erinnerungen aufzähle, klingt es selbst im meinen Ohren fast friedlich, wie wir so zusammen lebten.

Erst viel später erzählte Helen von ihren Erfahrungen in anderen Häusern, von ihren Erlebnissen als schwarze Hausangestellte in weißen Häusern während der Apartheid. All die Bitterkeit kam hoch. Ich war zu jung und unerfahren, sagen wir ruhig: naiv, um all das im ganzen Ausmaß zu verstehen. Ich habe nicht geglaubt, dass so etwas möglich wäre.

Die Neigung einer ungebildeten, oder halb gebildeten Gesellschaft, die sich als Gottes auserwähltes Volk fühlte und von ihrer Regierung darin bestätigt wurde, andere zu treten, ihnen sogar ihre eigene Schuld und ihr Unvermögen und Versagen auf die Schultern zu drücken.

Viele Jahre verbrachte sie auf ihren Knien, Boden polierend, getreten und beschimpft. Sogar während der Jahre, die sie für uns arbeitete, wurde sie von Nachbarn drangsaliert, Menschen, die unsere normale Einstellung Menschen gegenüber nicht akzeptierten. In deren Augen waren wir verdächtig und es hätte durchaus sein können, dass wir mit einer Anklage hätten rechnen können. Aus diesem Grund hatte Helen uns all dies verschwiegen.

Wie konnte man mit diesen Menschen zweiter Klasse fraternisieren, wie konnte man mit einer Schwarzen Weihnachten zusammen feiern, wie konnte man mit dem Gärtner an einem Tisch sitzen und Tee trinken?‘ Es ist eine Geschichte für sich; doch wer glaubt, dass Apartheid nur in Südafrika stattgefunden hat, irrt! Sie findet überall statt, selbst noch heute in 2009.
Der Begriff Mensch und menschlich hat einen schlechten Beigeschmack.

Und so saßen wir an vielen Abenden und sprachen über Kunst. Es waren einfache Gespräche, die viel mit Natur zu tun hatten, mit der Fähigkeit über sich selbst und über Dinge um uns herum zu lernen, zu erfahren wie etwas beschaffen ist, fast philosophisch. Helen war tief religiös und sehr naturverbunden. Deutungen, Sagen, Geschichten aus ihrer Kindheit, Mythologie, Sternenkunde.

Ihre Welt war eine verdichtete Sagenwelt, eigentlich sehr schlüssig. In ihrer Kindheit wurden alle Dinge und Weisheiten mündlich in den Familien weitergereicht, wie immer schon zuvor und so entstanden geistige Bilderlandschaften. Als sie eines Tages wieder einmal hinterfragte, warum ich dies oder jenes auf der Leinwand tat, gab ich ihr einige Tuben Farbe, Pinsel und Malkartons, und meinte, Du musst es selbst ausprobieren!

Für mehrere Abende sah ich sie nicht mehr. Dann endlich präsentierte sie mir ihr erstes Werk mit leuchtenden und aufgeregten Augen. Ich war zutiefst gerührt. Sie hatte über die gesamte Fläche einen blauen Baum auf roter Erde vor grünem Himmel gemalt, und all das in ungemischten reinen Farben.

Es wurde mir plötzlich klar, dass da vor mir unverbrauchte, reiche Erde war, in einer Frau, die denselben kreativen Hunger hatte wie ich, dass sie für ein noch unklares Ziel kämpfen würde. Ich sah es fast hellseherisch. Dieser Moment war Helen’s Scheideweg. Ich sah den stolzen Glanz auf ihrer Stirn und ich wusste, sie würde sich von mir weg entwickeln. Ich empfahl ihr, Unterricht bei einem lokalen Künstler zu nehmen. Ihr erster wichtiger Lehrer war John Koenakeefe Mohl.

Danach mussten wir Südafrika verlassen, ein Land, dass ich so sehr liebte und dessen Schönheit und Geruch für immer bei mir sind. In den darauf folgenden Jahren habe ich Helen’s Weg verfolgt und, als wir das Glück hatten, uns in Deutschland wiederzusehen, haben wir auf langen Spaziergängen die Lücken in unseren Erinnerungen aufgefüllt.

Wir haben Dinge hervorgeholt, die Helen ihr ganzes Leben bekümmert und verfolgt haben, beginnend mit ihrer Kindheit; u.a. auch die fehlende Gelegenheit, ihrem Wunsch nach Kreativität nachzugehen. Die wichtigste Bezugsperson war ihre Großmutter, von ihr übernahm sie das Wissen um die tiefe und ewige Seele und dass wir alle nur winzige Moleküle im weiten Meer der Menschheit sind. Von ihr erfuhr sie die heiligen Geheimnisse, die in der Erde und in den Herzen ihres Volkes liegen.

Nach unserer Abreise aus Johannesburg musste Helen in ihr Heimatdorf zurückkehren, um die erkrankte Großmutter zu pflegen. Mit sich nahm sie die neu geborene und schnell wachsende Künstlerin.

Dort in ihrem Dorf hatte sie die Gelegenheit und die Muße, alles mit neuen Augen zu sehen. Sie malte, was sie sah und ihre Seele wuchs und ihr Verständnis; aber auch das Leiden, dass damit einher ging. Es war Helen nicht bestimmt, ein bequemes Leben zu führen.

 

Über den Werdegang eines Künstlers sagt man, dass man nur auf dem Wege des Leidens die unendliche Weite der menschlichen Seele kennen lernen kann. Helen hat sich jede erdenkliche Last auf die Schultern geladen, um den Weg zu gehen, den sie gewählt hatte.

In einem Lehrgang hatte sie auch das Arbeiten mit Ton erlernt, und so fuhr sie an den Wochenden in den Zoo Lake Park nach Johannesburg, wo die lokalen Künstler ausstellten. Sie fuhr mit ihren Töpfen und Gefäßen, mit ihren Figuren und ihren Bildern per Bus in die Großstadt und war bald eine beliebte Ausstellerin.

Sie bekam die Gelegenheit an der Universität zu studieren, erhielt auch Stipendien ins Ausland und so lernte sie, wie Kunst anderswo gemacht wird, sie lernte neue Techniken, machte erstaunliche Radierungen. Sie begann Ausstellungen im Land und auf der ganzen Welt zu machen, sie wurde eingeladen und hoch geehrt.

Jedoch blieb Helen sich selbst stets treu, entwickelte ihre eigenen Stil, ihre eigene Ausdrucksweise und ihre eigene Technik. Sie bewunderte die großen Künstler, hat sie aber nie kopiert, nahm nur das auf, was sie für ihr ureigenes Verständnis verwenden konnte.

All ihre Lebenserfahrungen, die bitteren, die für lange Zeit auf den Rücken ihres Volkes getragen wurden, die verschwindenden Traditionen, die verzweifelte Situation der ratlosen Jugend in Südafrika, all das brachte sie in ihre Kunst ein.

Aber sie lehrt uns auch nicht zu verzweifeln durch die Darstellung des sich ewig drehenden Lebenskreislaufs. Die Farben, die sie verwendet, basieren auf der Liebe und dem schmerzvollen Verständnis für ihr Land, und das Wissen darum geht zurück auf die Kindheitstage, als Großmutter sie lehrte, die Farben aus der Natur zu sammeln.

Wenn Helen malt, tut sie das mitten aus ihrem Zentrum heraus, wo die Flamme ihrer Vision lebt, eine Vision, die uns alle betrifft. Die Vision einer besseren Welt, die sich nur verwirklichen lässt, wenn jedes einzelne Individuum gelernt hat, das göttliche Element in sich selbst zu erkennen und zu respektieren, nämlich die Kraft zur Kreativität. Kreativ sein bedeutet für sie, die Sinne zu schärfen und sie richtig einzusetzen, und besonders unsere Ahnen und die Geschichte zu respektieren.

Sie lehrt uns, dass wir das, was wir tun, beherrschen müssen, um unseren eigenen Charakter zu stärken.
Eine Freundin, die sie noch aus dieser Zeit kannte – inzwischen waren für mich fast 20 Jahre vergangen – dass sie nach einem Gespräch mit Helen reich beschenkt nachhause geht. Sie meint, ihre Güte und Weisheit umfängt einen mit weiten Flügeln, denn sie sieht weit, über Jahrhunderte hinweg, in die Vergangenheit und in die Zukunft.

Ihre Vision hatte einen Mittelpunkt gefunden, den Wunsch, das Haus ihrer Großmutter wieder aufzubauen und es zum Zentrum einer Schule für Gleichgesinnte zu machen, in der die alten Traditionen verbunden mit neuen Erkenntnissen den jungen Studenten beigebracht werden.

Sie möchte der Jugend zurufen: Kommt heim und lernt die alten Traditionen und erst dann geht und entdeckt die Welt für Euch. Ihr könnt Eure Köpfe nur dann hoch erheben, wenn Ihr wisst, wer Ihr seid, wenn Ihr wisst, was Ihr seid und wo Ihr herkommt.

 

Helen Sebidi, als die ich sie kannte, nahm einen neuen Namen an, d.h. einen alten bedeutungsvollen: Der Titel des Buches, das über sie und ihr Werk kürzlich erschienen ist, trägt den vollen Namen: Mmakgabo Mmapula Mmankgato Helen Sebidi.

Von Anfang an wollte sie, dass ich ein Buch über sie schreibe, aber wir waren zu weit voneinander getrennt, mir fehlten viele Jahre und ich müsste viele Jahre neben ihr leben, um das Wissen zu ergänzen. Was weiss ich, was im Land Südafrika inzwischen vorgegangen ist, was weiss ich von ihren Siegen und ihren Wunden.

Nun hat das Buch eine andere Frau geschrieben, Juliette Leeb-du Toit, eine Südafrikanerin. Sie hat Helen gut dargestellt und hat nicht versucht, Helen’s besondere bildhafte Sprache zu ändern und zu verdeutlichen, denn das macht einen Teil ihres Wesens aus.

Ich fragte mich oft, wie es Helen auf ihrem Weg in diese Höhe an Können, Ehrungen – sie bekam unter vielen anderen Ehrungen vor einigen Jahren die silberne Ehrennadel vom Präsidenten Südafrikas für ihre Verdienste um ihr Volk.

Sie hatte mir angedeutet, dass auf dem Weg dorthin ihr oft Seele und Körper bitter geschmerzt haben. Ausserdem ist sie eine Frau, die lehrt zu ehren und zu respektieren und nicht zu hassen und zu zerstören.

Mmakgabo Mmapula Mmankgato Helen Sebidi bereitet sich seit zwei Jahren auf ihre nächste grosse Ausstellung vor. Sie arbeitet langsam, sagt sie, aber bald ist es soweit.

Ich habe fest vor, zu diesem Zweck anwesend zu sein, zusammen mit meiner Familie. Das werden dann 40 Jahre sein, seit wir in Edenvale/Johannesburg zusammen gearbeitet haben. Helen ist meine Schwester im Geist und des Herzens, und meine Kinder sind ihre Kinder, und wenn die Tatsache, dass ich vor vielen Jahren Helen eine komplette Malausrüstung zu Weihnachten geschenkt habe, das höchste Ziel sein sollte, was ich im Leben erreichen wollte, so habe ich es erreicht.

Das Buch:
Mmakgabo Mmapula Mmankgato Helen Sebidi

Published in 2009 by David Krut Publishing
ISBN : 978-0-9814188-7-2

Distributed in South Africa by David Krut Publishing cc
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2193 South Africa
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Text und Bilder wurden freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Heidi Trautmann

 

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