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WinterImpressionen 2010

 

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Ich strecke meine Hand aus und fange eine Schneeflocke, eine große, ausgewachsene. Die Zeit, ihre Schönheit zu erkennen ist beschränkt. Kristalle einer ausserordentlich feinen Bauweise. Das Leben hat Grenzen.

 

Als Kind stand ich oft am winterlichen Fenster, nicht nur um die Aktivitäten vom Weihnachtsmann und seinen Helfern über den Himmel hinweg zu verfolgen, sondern auch, um die hübschen unterschiedlichen Sternmuster, die an den Fensterscheiben festgefroren waren, in mein Malbuch zu zeichnen, Details für meine Weihnachtszeichnungen. Eine ganze Märchenwelt entstand um die Schneeflocke herum und ich lebte voll und ganz in ihr. Ich glaubte fest, dass die Sterne von der Milchstrasse entlassen werden, um uns Grüße aus dem All, dem Himmel zu senden.

 

Solltet Ihr an einer mehr technischen Erklärung zur Entstehung der Schneeflocken interessiert sein, so fragt einfach Mr Google, er weiß recht gute Antworten.

 

 

WinterImpressionen, Fotos: Heidi Trautmann

 

Nach 15 Jahren Mittelmeer war es für uns eine erste Gelegenheit, wieder eine vorweihnachtliche Wintersaison voll mitzuerleben. Es war Ende November, als wir aus Zypern anreisten und gleichzeitig fiel der allererste Schnee der Saison und wir bekamen eine gute Kostprobe mit 4,5 Stunden im Stau auf der Autobahn von München nach Salzburg.

 

Schwere Lastwagen hingen quer über die Fahrbahnen, Polizei und Sicherheitsfahrzeuge sirenten zwischen den Reihen und versuchten so ziemlich vergeblich Ordnung ins Chaos zu bringen. Wir sangen nicht gerade fröhliche Weihnachtslieder. Ab und an kamen wir an verzweifelten Autofahrern vorbei, die sich auf den Seitenstreifen gekämpft hatten, um im Schneegestöber mit dem Rücken zu uns eilige Geschäfte abzuwickeln. Eisglätte, Blitzeis hiess es im Verkehrsradio und niemand traute sich, aus der Lawine gen Süden auszuscheren, um auf Nebenstrassen zum Ziel zu gelangen.

 

Das Haus, das wir endlich erreichten, war ebenfalls blitzkalt und die frisch angereisten Familienmitglieder versammelten sich für die nächsten Tage in der kleinen Küche, wo ein Holzfeuer uns die Frontseiten erglühen ließ, die Rückseiten blieben erfrischend kalt. Doch so zusammengerückt, fielen die Jahre von uns ab, von den schneeweißen Häuptern, und der heisse Tee mit Rum und die selbstgebackenen Plätzchen brachten Farbe in unsere Backen.

 

Wir sprachen vom ersten Schnee unserer Kindheit, an denen wir bis in die Abendstunden rodelten, wie wir eiskalt und durchnässt hereinkamen, nach versteckten Plätzchen suchten, die ja sowieso besser vor Weihnachten schmecken. Unsere rot gefrorenen Nasen und glänzenden Augen wetteiferten mit den Äpfeln und brennenden Kerzen auf dem Adventskranz.

 

Wir schauten uns nun in die Augen, die etwas traurig und wissend lächelten, in den Gesichtern, die…sagen wir reif waren, Augen, die uns als Kinder sahen, als junge Eltern mit eigenen Kindern. Winter ist für die junge Generation, die ältere lehnt sich lieber an den warmen Ofen und schaut von innen nach außen auf die Wunder des Winters.

 

Winter in den von uns geliebten Märchen bedeutete Armut, Elend, Unglück – ein gebrochenes Herz, das sich in Eis verwandelt hatte, oder für Bosheit in der Schneekönigin; später las ich die entsetzlichen Beschreibungen verlorener Schlachten oder über die Gefangenen in Sibirien.

 

Ich kann nicht gerade behaupten, dass der Winter in dieser Form mein Herz erwärmt. In Europa haben wir kaum noch echte Armut, und ein schneereicher Winter bedeutet in unseren Breiten eher den Luxus, trotzallem noch ein bequemes Leben zu führen, zumindest solange wir ausreichend Ressourcen haben, um unsere Lebensräume warm zu halten.

 

Vor dem Familienhaus, gen Süden hin zur Alpenkette liegt ein kleiner zauberhafter See, auf dem die Dörfler eislaufen und ein paar heimische Vögel auf den überzuckerten Schilfbüscheln schwankend sitzen und zuschauen. Ich beobachte das Bild über den ganzen Tag hinweg mit der Kamera, da ist das rosarote Morgenlicht, das Kälte ankündigt, mittags das gleißende Weiss, wabernd über der Wasserfläche, und am späten Nachmittag ein violettes Blau über den Schneeflächen.

 

Zwischendurch wird ein dichter Vorhang an tanzenden, taumelnden Schneeflocken vorgezogen, das das Leben um uns in eine tiefe Stille taucht. Zur Sicherheit überprüfe ich meine Ohren, ob sie blockiert sind. Selbst mitten in der Stadt, laufen die Menschen auf weichen Teppichen, die Autos machen auf dem frischen Schnee keinen Lärm, alles ist ein merkliches Maß langsamer. Ich greife um mich in dieser Atmosphäre an Unwirklichkeit.

 

Jedem Dorf sein Weihnachtsmarkt mit einem überdimensionalen Tannenbaum, elektrischen Kerzen und kopfgrossen Kugeln; Engel und biblische Figuten tragen Schneekappen und nicken dabei.

Die Menschen trinken dampfend heißen Glühwein, es riecht nach Zimt, und sie stampfen mit den Füßen, während ihr feuchter Atem als Wolke aufsteigt und sich zu den Schneeflocken gesellt.

In Salzburg lachen uns altmodische Nussknacker in großen Versammlungen an und Bleisoldaten schreiten im Stechschritt vorbei. Denkbare und undenkbare Artikel sind mit Weihnachtssymbolen bedruckt und bemalt und neben Ständen mit Nikoläusen und Gebäck holt sich so mancher Besucher lieber eine knackige Wurst zu seinem Glühwein.

 

Die Standleute sind in dicke Pelzmäntel gehüllt, aber sie haben zu ihren Füßen Gas- oder Petroleumheizer, sagen sie. Zwischen den Ständen steht ein ohrengeschützter Geiger aus Italien und fidelt seine Lieblingslieder von Sonne und Liebe. Ein anderer Schausteller steht mitten auf dem Platz umgeben von Schneewirbeln, ganz in Silber, so dass seine Augen ganz fremd wirken und er lädt uns mit einer lächelnden Geste ein, etwas zu spenden. An einem kleinen Tisch verkaufen zwei junge Mädels ihr selbst gebackenes Gebäck und da kaufe ich gleich ein Kilo davon, und sie würden jetzt bald zusammenpacken und morgen wieder kommen mit neuen Sortiments, antworten sie auf meine Frage, wie sie denn die Kälte ertragen. Die Vanillekipferl schmecken wirklich ausgezeichnet.

Ja, und dann betreten wir eine der nahen Kirchen, die Kollegienkirche. In den Bankreihen sitzen ein paar ältliche Menschen, zumindest sind sie gebeugt und scheinen etwas zu bitten, vielleicht um Vergebung, vielleicht um etwas Materielles, oder sie sind einfach nur allein und brauchen jemandem, mit dem sie sich unterhalten können. Kerzen werden angezündet um die Wirkung des Gebetes zu unterstützen, um ihnen etwas Aufwind zu geben.

 

Und wie wir weiter in den hohen Raum treten, kann ich kaum meinen Augen trauen, da ist eine künstlerische Installation, die uns einhalten lässt.

Vom höchsten Punkt des Kirchenraumes, dem Dom, hat die Künstlerin etwa 70 km Seidengarn in 200 Arbeitsstunden zum Boden geführt, wo sie die Garne in einem runden Teppich in einem bestimmten Muster verknüpft hat, kleine Hügel ergebend.

 

Himmel und Erde miteinander verbunden und durch diese Verbindungskabel wenn ich sie so nennen darf, fällt das Licht aus den seitlichen Fenstern, changierende Lichtkörper für die Interrelationen zwischen zwei kosmischen Ebenen, Gespräche sichtbar gemacht.

 

Wie ein Kind stehe ich da mit halboffenem Mund und die Künstlerin steht neben mir an einem Lesepult, und liest aus einem grossen Buch. Sie schaut mich an, als ob sie erwarte, dass ich sie anspreche, aber ich tue es dann doch nicht, wieder eine verpasste Gelegenheit. Stattdessen nehme ich ihren Katalog mit, ihr Name ist Elke Maier.

 

Ich glaube zu verstehen, was sie sagen will mit ihrer Arbeit. Meine kindliche Vorstellung, dass das Universum mit uns über die Schneeflocken in Verbindung tritt, ist doch nicht so weit hergeholt. Vielleicht spreche ich sie doch noch an, schriftlich.

 

Ich wünsche Euch allen ein schönes Weihnachtsfest und ein gutes Neues Jahr 2011.
Heidi and Kalle Trautmann

 


 

Beitrag und Fotos: Heidi Trautmann, Dezember 2010

 

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